Herbert Grönemeyer (Jahrgang 1956) betätigte sich von Jugend
an als Komponist, Texter, Schauspieler und Sänger und brachte es nach
Jahren fleißiger Arbeit zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen
Musiker. Nachdem er sich zu Anfang der achtziger Jahre als Theater- und
Filmschauspieler etabliert hatte, gelang ihm 1984 auch in musikalischer
Hinsicht der lang ersehnte nationale Durchbruch. Mit seinem frühen
Erfolgswerk »4630 Bochum«, einer Hommage an seine Heimatstadt, und
insbesondere seinem Hit »Männer«, der laut »Spiegel« heimlichen deutschen
Nationalhymne, sang und spielte er sich in die Herzen seiner Landsleute.
Grönemeyer, der ironischerweise seine Musik für viel wichtiger als seine
Texte erachtete, sorgte mit dieser Platte fast im Alleingang dafür, dass
die deutsche Sprache in Verbindung mit Rockmusik von der Musikindustrie
erstmals ernst genommen wurde, und machte somit den Weg frei für jüngere
Musiker, die nicht mehr englisch oder unsinnig-belangloses Deutsch singen
wollten, sondern sich emotional und kritisch ernsthaften Inhalten widmeten.
Für diese Art von Liedtexten hatten Kritiker schnell das Etikett
»Betroffenheitslyrik« zur Hand, doch der Siegeszug der neuen Form war unaufhaltsam,
was sich nicht zuletzt in den Verkaufszahlen von Grönemeyers Platten
widerspiegelte: Sein 1998 erschienenes Werk »Bleibt alles anders« fand über
10 Millionen Abnehmer.
Anfänge
Herbert (Arthur Wiglev Clamor) Grönemeyer erblickte am 12. April 1956 in
Göttingen als jüngster von drei Söhnen eines Bauingenieurs das Licht der
Welt. Im Jahr darauf übersiedelte die bildungsbürgerliche Familie ins
Ruhrgebiet und ließ sich in Bochum nieder. Grönemeyer verlebte
nach eigenen Angaben eine »völlig unproblematische Kindheit« und wurde 1963
eingeschult. Er war begeisterter Fußballspieler und erhielt ab dem zehnten
Lebensjahr Klavierunterricht. Bereits mit zwölf gründete er eine erste
Schülerband, und noch vor dem Schulabschluss (1975) bewarb er sich beim Schauspielhaus
Bochum als Korrepititor und Komponist. Unter der Leitung des innovativen,
bald als skandalös verschrieenen Regisseurs Peter Zadek hatte die Bochumer
Bühne in den siebziger Jahren eine Hochperiode, und nachdem Grönemeyer ab
1974 Musiken zu Shakespeares »Wintermärchen«, »Der Kaufmann von Venedig«
und »Wie es euch gefällt« geschrieben hatte, wurde er von Zadek als
Schauspieler eingesetzt. Durch Zadeks
Vermittlung, und oft unter seiner Regie, spielte Grönemeyer auch an anderen
renommierten deutschen Häusern wie dem Schauspielhaus Hamburg, dem
Staatstheater Stuttgart und der Freien Volksbühne Berlin. Zadek sorgte auch
dafür, dass Grönemeyer Zugang zu einem neuen Tätigkeitsbereich fand: dem
Film. In »Die Geisel« stand der Jungstar 1976 erstmals vor der Kamera. Die Arbeit als
Schauspieler bot Grönemeyer, der nebenher ein Studium der Rechts- und
Musikwissenschaften aufgenommen hatte, damals am ehesten die Möglichkeit,
künstlerisch zu wirken. Seine musikalischen Versuche blieben erfolglos, sei
es sein ambitioniertes Jazzrock-Projekt mit dem Ocean Orchestra (1978) oder
seine erste Solo-LP, die nach dem Vertragsabschluss mit Intercord 1979 auf
den Markt kam.
Durchbruch
Bundesweit bekannt wurde Grönemeyer 1981, als Lothar-Günther Buchheims
Roman »Das Boot« von Wolfgang Petersen verfilmt wurde und Grönemeyer eine
größere Rolle übernahm. Seine
darstellerische Leistung und der Erfolg des Vierteilers wirkten sich auf
den Verkauf der Platten »Zwo« (1980) und »Total egal« (1982) wenig aus,
doch mit dem Song »Currywurst« feierte der Schauspieler auch als Sänger
zumindest so etwas wie einen Achtungserfolg. Grönemeyer fuhr trotzdem
unbeirrt zweigleisig weiter: er schien zu ahnen, dass sein Durchbruch nur
eine Frage der Zeit war. Nach einer weiteren beachtlichen Hauptrolle in dem
Kinofilm »Frühlingssinfonie«, in dem Grönemeyer 1982 mit Nastassia Kinski
Leben, Lieben und Leiden des Künstlerpaars Robert Schumann und Clara Wieck
darstellte, kam 1983 mit »Gemischte Gefühle« seine eigene Musikerkarriere
so langsam in die Gänge. Die Platte präsentierte Grönemeyer als Künstler,
der seinen eigenwilligen Stil gefunden hatte, und »teutonisch-knödelnder«
Gesang, bodenständige und zugleich liedhafte Rockmusik mit so emotionalen
wie kritischen Texten fanden nun 25000 Käufer. Das Jahr darauf
brachte dann den lang ersehnten Paukenschlag: »4630 Bochum«, Grönemeyers
nächste LP, erschien am 28. Mai 1984, kletterte in die deutsche Hitparade
und hielt sich dort 79 Wochen lang (1985 erreichten die Verkaufszahlen dann
eine für eine deutsche Platte bislang nie da gewesene Rekordhöhe).
Grönemeyers Hommage an »seine« Stadt war ein Werk wie aus einem Guss, wie
es ein deutscher Künstler kaum jemals geschaffen hat. Ein Supersong folgte
auf den anderen, und neben dem hymnischen Titelstück glänzten vor allem die
äußerst erfolgreichen Singles »Männer«, »Alkohol« und »Flugzeuge in meinem
Bauch«. Grönemeyer hatte
den Nerv der Zeit getroffen, und »Männer« - der eigentliche Grundstein der
nun einsetzenden Traumkarriere und vom »Spiegel« zur heimlichen deutschen
Nationalhymne erklärt - lieferte ebenso wie andere Stücke den Beweis, dass
im Volk der Dichter und Denker nach wie vor Menschen zu finden waren, die
sich Gedanken machten und in der Lage waren, das Gedachte gut formuliert zu
Papier zu bringen - verständlich und breitenwirksam. Grönemeyers Arbeit
führte dazu, dass die deutsche Sprache, die von der Neuen Deutschen Welle
zwar wieder »hoffähig« gemacht, jedoch vornehmlich
zu Blödelzwecken eingesetzt worden war, ein in der Musikindustrie auch
jenseits der Sparte »Liedermacher« ernst zu nehmendes Medium wurde.
Kritiker fanden für die Texte Grönemeyers und seiner Nachfolger schnell das
Etikett »Betroffenheitslyrik«, doch ein überraschend großes Publikum fühlte
sich angesprochen.
Der erfolgreichste deutschsprachige Musiker
Im Zuge des großen Erfolgs von »Bochum« gelangte auch die Vorgängerplatte
verspätet in die Charts, und eine Tournee, die das Erfolgsjahr 1984
abschließen sollte, musste wegen großer Nachfrage verlängert werden.
Grönemeyer beteiligte sich 1985 als Komponist an dem Song »Nackt im Wind«,
den das deutsche Musikerkollektiv »Band für Afrika«
zu Gunsten des hungernden Erdteils aufnahm, und arbeitete wieder als
Schauspieler. Dann legte er 1986 eine weitere Platte vor. »Sprünge«
erreichte die Spitzenposition der deutschen Hitparade und enthielt mit
»Kinder an die Macht« wieder eine engagierte Erfolgssingle.
Die begleitende Tournee geriet zum Triumphzug, in dessen
Verlauf 250000 Menschen Grönemeyer und seine Band feierten. Allein beim
Anti-Waahnsinns-Festival gegen die geplante atomare
Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf spielte Grönemeyer vor 100000
Zuschauern. 1988 folgte »Ö«, eine Platte, die aufwendiger als bislang produziert und
deutlich gitarrenlastiger war. Wieder eroberte sie die Spitzenposition der
Charts (1,4 Millionen verkaufte Exemplare), und wieder gab es mit »Was soll
das?«, »Halt mich«, »Vollmond« sowie »Komet« ungemein erfolgreiche Singles.
Die Songs der »Ö«-LP präsentierte Grönemeyer bei einer 50-Städte-Tournee,
in deren Verlauf er vor
insgesamt 300000 Menschen spielte. Erstmals wurde eine Platte von
Grönemeyer auch außerhalb Deutschlands veröffentlicht: Unter dem Titel
»What's all this?« wurden 1989 Songs aus den letzten drei LPs ins Englische
übersetzt und in Kanada probehalber auf den Markt gebracht. Dieses
Unternehmen erwies sich als Flop - immerhin wurden die englischsprachigen
Platten in Deutschland zu beliebten Sammlerstücken. In der Heimat musste
Grönemeyer allerdings keine Erfolgsminderungen hinnehmen, denn auch seine nächste
Platte »Luxus« traf 1990
ins Schwarze. Wenngleich die Produktion der LP schlampig wirkte, lieferte
Grönemeyer dennoch mit Songs wie dem Titelstück und »Deine Liebe klebt«
überragendes Material.
Reife Jahre, Schicksalsschläge und Neustart
Nach einer Publikationspause, die Grönemeyer genutzt hatte, um ausgiebig
aufzutreten, erschien erst 1993 wieder eine neue Platte. Sie war mit »Chaos«
betitelt und problematisierte fast philosophisch das Leben in einer Welt,
in der der Einzelne immer mehr auf sich selbst angewiesen ist und keine
übergeordneten Zusammenhänge zur Orientierung hat. »Chaos« war in
Deutschland wie selbstverständlich ein Verkaufsschlager, und Grönemeyer war
offenbar von seiner Arbeit so überzeugt, dass eine weitere Veröffentlichung
im Ausland angegangen wurde. Andy Partridge, der Sänger und Texter von XTC,
übersetzte die »Chaos«-Texte ins Englische, und die Platte erschien in
dieser Fassung in Großbritannien und anderen europäischen Ländern. Wie zu
erwarten, stellte sich ein Riesenerfolg nicht ein, doch Grönemeyer wurde zumindest als
seriöser deutscher Künstler wahrgenommen. Eine ganz besondere Ehrung erfuhr
er jedoch, als er als erster nicht englischsprachiger Künstler in die
renommierte Fernsehsendung »MTV Unplugged« eingeladen wurde. Der Mitschnitt
des Konzerts, bei dem sich Grönemeyer als durch und durch professioneller
Musiker präsentiert hatte, erschien 1995 unter dem Titel »Unplugged«
zeitgleich mit der LP »Live«, die Konzertmitschnitte von der »Chaos«-Tour
enthielt. Außerdem veröffentlichte Grönemeyer den MTV-Auftritt vollständig
als Video, da im Rahmen der offiziellen Sendung (und auch der
Wiederholungen in ARD und dritten Programmen) eine gekürzte Fassung
ausgestrahlt worden war. Erst 1998 meldete sich Grönemeyer mit »Bleibt alles anders«
zurück, einer Platte, die viel metaphorischer und weit weniger
sozialkritisch als ihre Vorgänger anmutete und über weite Strecken am
Computer entstanden war. Grönemeyers Publikum honorierte die
Wandlungsfähigkeit seines Idols jedoch, und über 10 Millionen Exemplare der
Platte wurden verkauft. Das Jahr 1998 brachte für Herbert Grönemeyer
allerdings auch schwere Schicksalsschläge. Innerhalb weniger
Wochen starben sein Bruder Wilhelm, dem Grönemeyer zur Leukämiebekämpfung
noch Knochenmark gespendet hatte, und seine langjährige Lebensgefährtin
Anna Henkel (an Brustkrebs), die Mutter der zwei gemeinsamen Kinder Felix
und Marie. Grönemeyer zog sich zurück und ließ erst Monate nach den
schweren Ereignissen wieder von sich hören. Der »Stern« veröffentlichte als
erstes Lebenszeichen im März 1999 ein Interview, das Roger Willemsen mit
Grönemeyer geführt hatte, und einen ersten öffentlichen Konzertauftritt gab
der erfolgreichste deutschsprachige Musiker dann wieder am 26. Juni 1999 in
der ausverkauften Sport- und
Kongresshalle in Schwerin. Alte Songs wurden vom Publikum genauso
begeistert gefeiert wie neues Material aus dem »Bleibt alles anders«-Album.
Ende 1999 erschien die von Grönemeyer zusammengestellte CD-Kompilation »Pop
2000«, zu der er selbst eine betont ruppige Version des einstigen Trio-Hits
»Da, da, da« beigesteuert hatte, und im November 2000 veröffentlichte der
mittlerweile hauptsächlich in London Ansässige, der neuerdings auch sein
eigenes Plattenlabel »Grönland« betreibt, eine DVD (Digital Video Disc) mit
dem Titel »Stand der Dinge«, die seine Konzerte mit einem Sinfonieorchester
im Rahmen der EXPO 2000 dokumentiert.
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